13 – Auf Arbeit

Das war als Jung­an­ge­stellte, so unge­fähr. Zuar­bei­terin im Schreib­ma­schi­nen­zimmer, na, so die Murkel­ar­beit. Die Firma, das war eine Geld­schrank­fa­brik in Schön­holz in der Sommer­straße, am Bahnhof Schön­holz, später in der Badstraße. Insge­samt war ich da 14 Jahre, bis 1939.

Nachher gab’s ein biss­chen mehr als 56 Mark. Aber wenn man bedenkt, ich meine, es hört sich heute wahr­schein­lich beson­ders wenig an, aber es war auch wenig. Denn raus­be­kommen habe ich unge­fähr 50 Mark, und dann musste ich meinem Vater 20 Mark geben. Er sagte, die musst Du mir geben, mein Kinder­geld fällt weg. Ja, solange ich in der Ausbil­dung war bezie­hungs­weise zur Schule ging, kriegte er ja Kinder­geld, aber das fiel ja denn weg. Also, die 20 Mark musst Du mir wenigs­tens geben. Von den anderen 30 Mark musste ich nun Fahr­geld bezahlen. Bin damals mit der S‑Bahn von der Beus­sel­straße über Gesund­brunnen nach Schön­holz gefahren. Und da kam, soweit ich mich erin­nern kann, weil es schon zweite Zone war, zuerst die Monats­karte 9 Mark. Nachher wurde sie etwas billiger, da haben sie den Kreis für die erste Zone ein bißchen größer gezogen, und da kam’s, glaube ich, auf 6,50 Mark oder so.

Aber davon musste ich mich nun auch kleiden und alles bezahlen, was für mich so anfiel. War im Zentral­ver­band der Ange­stellten und bin auch 1925, gleich als ich aus der Schule kam, in die „Arbei­ter­ju­gend“ einge­treten, musste ich ja auch meine Beiträge bezahlen. Und da konnte ich keine großen Sprünge machen. Also wenn ich mal ins Kino gehen wollte, bin ich in die Sonn­abend­nach­mit­tags­vor­stel­lung ins BTL gegangen, die kam 50 Pfennig, weiß ich noch genau.

Wir haben damals von acht bis fünf gear­beitet und sonn­abends von acht bis halb zwei. Und ich hatte immer einen Weg! Zuerst zur Sommer­straße, nachher arbei­tete ich in der Badstraße, da war es nicht mehr ganz so weit, da brauchte ich bloß noch bis Gesund­brunnen fahren, aber ich musste die ganze Badstraße runter­laufen. Tja, und ich bin ja kurz vor sechs immer erst zu Hause gewesen, musste morgens bald nach sieben weg. Da blieb nicht allzu viel Frei­zeit.

Und dann musste man ja auch ein biss­chen was für seine Sachen tun, Mutter konnte ja nicht alles machen. Und vor allen Dingen Kleider waschen und bügeln und all so was, das haben wir, meine Schwester und ich, eigent­lich immer selber gemacht. Das haben wir nicht Mutter über­lassen. Meine Mutter war eine liebe gute Frau, die hat auch alles gemacht und so weiter, aber sie hat uns das nicht, wie soll ich sagen, nicht gut genug gemacht.

Wenn ich dran denke, mein Bruder, der hat gelernt bei einer Firma, die war in Zehlen­dorf, der ist nun jeden Tag von Moabit nach Zehlen­dorf gefahren. Damals fuhr der heutige 1er Bus, der fährt ja jetzt noch da runter, der fuhr nach Teltow. Da ist der jeden Tag hin und zurück mit dem Bus gefahren.

Meine Schwester arbei­tete am Halle­schen Ufer, in der Nähe des Halle­schen Tores. Eine von meinen Freun­dinnen arbei­tete in der Pots­damer Straße. Der Freund meines Bruders, der hatte auch Maurer gelernt, der arbei­tete in Pankow bei einer Firma. Es gab ja eine Menge Fabriken rund­herum. Einer der Jungen, der arbei­tete bei Zwie­tusch am Salz­ufer, das war viel­leicht mit das nächste, was es hier gab. Später arbei­tete meine Schwester in der Sickin­gen­straße bei Osram, Tele­funken, als sie anfing, war es wohl noch Osram, nachher war es Tele­funken.

In der Stadt arbei­teten von den Mädchen viele als Ange­stellte und Verkäu­fe­rinnen. Wohnen und arbeiten war für uns schon nicht mehr zusammen. Ich wüsste kaum jemanden, der dicht hier gewohnt und gear­beitet hat. Ich weiß nicht, ob damals nicht so viele Lehr­linge ausge­bildet wurden. Bei uns im Haus wohnten zwar welche, die bei der dama­ligen AEG-Turbi­nen­fa­brik in der Hutten­straße arbei­teten, und es gab auch eine Menge, die bei Siemens arbei­teten. Aber Siemens­stadt, das lag ganz abge­schieden, ehe die S‑Bahn nach Siemens­stadt gebaut wurde. Da bestand die einzige Fahr­mög­lich­keit bloß immer vom Lehrter Bahnhof über Putlitz­straße nach Fürs­ten­brunn, so fuhr damals die S‑Bahn. Die Strecke exis­tiert ja noch, wird bloß nicht benutzt. Da fuhr die Dampf­bahn dahin, war die einzige Fahr­mög­lich­keit. Da mussten die nach Putlitz­straße, da war ein zweiter Bahnhof, so eine Art Fern­bahnhof, und da fuhren die dann nach Fürs­ten­brunn. Oder die liefen oder sie fuhren Rad. Ich weiß, unser Nachbar in der alten Wohnung, der war bei Siemens, der ist immer gelaufen, den ganzen Span­dauer Schiff­fahrts­kanal runter­ge­laufen bis zum Kabel­werk.

Siemens Kabel­werk war, wo heute die Tegeler Brücke ist, Bernauer Straße, da war auch die Endsta­tion von der S‑Bahn Garten­feld. Da sind die den ganzen Schiff­fahrts­kanal runter­ge­laufen, bis zum Kabel­werk. Weil es gar keine Fahr­ver­bin­dung gab, da fuhr eben einfach nichts.

Wenn die um sieben Uhr anfangen mussten, da sind die um halb sechs schon weg, und abends haben sie bis um fünf gear­beitet oder noch länger, da sind die erst sonst wann nach Hause gekommen. Fahr­räder waren auch oft teuer, die Leute konnten sich die einfach nicht kaufen, die wenigsten hatten ein Fahrrad. Wenn ich heute denke, dass Kinder alle ein Fahrrad haben! Mädchen aus meiner Klasse – wer hatte da schon ein Fahrrad?

Ich habe vom 16. November 1926 bis zum 30. September 1931 gear­beitet und dann ab dem 16. Dezember 1931 wieder. Ich war, Gott sei Dank, nicht lange, nur zehn Wochen unge­fähr, arbeitslos und konnte denn bei meiner alten Firma wieder anfangen. Die ging in Liqui­da­tion und der Liqui­dator, der hat mich nachher, da er ja Schreib­kräfte brauchte und die andere, ältere Dame, die da längere Kündi­gung hatte, die wurde denn krank und musste dann sowieso gehen, und da hat er mich wieder geholt. Und da hab ich dann weiter gear­beitet. Gott sei Dank, dass einer wenigs­tens Arbeit hatte.

Ich hatte vorher, ich weiß noch genau, 171 Mark verdient im Monat brutto, und musste dann mit 150 anfangen. Ich meine, es war bitter, aber besser als 7 Mark. Ich wurde inzwi­schen 21 Jahre und hatte in den letzten paar Wochen Arbeits­lo­sen­un­ter­stüt­zung bekommen, das waren 7 Mark die Woche. Das hätte es, glaube ich, sowieso nur zehn Wochen gegeben, länger sowieso nicht. Aber 150 Mark und 7 Mark die Woche ist doch ein kleiner Unter­schied gewesen.

Ich bin immer gern arbeiten gegangen, bis zuletzt. Ich hab ja bis 1970 gear­beitet, also bis ich 60 Jahre alt wurde. Hab fast 40 Berufs­jahre. Ich war nach dem Krieg 24 Jahre im Kran­ken­haus in der Verwal­tung, Verwal­tungs­se­kre­tärin. Hab im Vorzimmer beim Direktor und beim Büro­leiter gesessen. Und da war immer Betrieb. Und das hat mir immer Spaß gemacht. Und na ja, manchmal hatte man auch natür­lich viel zu tun, aber dann mal wieder ein biss­chen weniger. Und es kamen Pati­enten, es kam Personal, es kamen Besu­cher, und es kamen Kollegen, und es war immer irgendwas los. Und dann habe ich die ganze Verwal­tungs­schrei­berei gemacht. Außerdem noch unser Wirt­schafts­buch für’s Kran­ken­haus geführt. Da war ich eigent­lich immer ausge­lastet. Und ich konnte mir meine Arbeit immer einteilen. Es gibt ja so viele Leute, die können sich die Arbeit nicht einteilen, die nie wissen, was wichtig ist, und was nicht wichtig ist. Und darauf kommt es an! Man muss wissen, was wichtig ist, was man zuerst erle­digen muss und was ein biss­chen ruhen kann. Und wer das nicht kann, der erleidet Schiff­bruch, der kommt nicht durch. Das ist nicht bloß auf der Arbeit so, das ist überall so.

Hilde­gard Schön­rock: Wir kamen gerade so hin
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