16 – Erfahrungen mit Wilden Cliquen

Und na ja, sonn­abends, sonn­tags sind wir, wie wir so sagten, auf Fahrt gegangen, und da haben wir natür­lich auch manchmal Wilde Cliquen getroffen unter­wegs. Aber ich kann mich nicht erin­nern, das wir irgendwie große Sachen mit denen hatten. Meist haben die uns bloß veräp­peln wollen oder so und haben gerufen: „Latsch, latsch, die Heide brennt“ und all so was. Und direkt in Moabit kann ich mich erin­nern, Emdener Straße vorn, irgendwo Nr. 5, Nr. 6, da waren ein paar, die in so einer wilden Clique waren, Jungens. Die haben uns auch mal so ein biss­chen ange­pö­belt oder so. Aber sonst war es eigent­lich nie beson­ders. Das ist heute genau so, als wenn Sie sich diese Punks oder so ansehen, ähnlich raus­staf­fiert hatten die sich ja auch. Die haben sich nicht die Haare gefärbt und so weiter, dazu hatten sie ja auch kein Geld, aber sie haben sich doch auch immer raus­staf­fiert und sind immer fast mit Bier und, und weiß nicht was, was ja bei uns ganz groß verpönt war, rumge­zogen, mit Flaschen oder Fäss­chen oder sonst irgendwas, was wir ja nie gemacht haben. Bei uns gab’s ja so was unter­wegs über­haupt nicht. Wenn sie zu Hause irgendwie Bier getrunken haben, na ja, schön, da hat es niemand gesehen. Aber sonst gab es das ja nicht. Auch wenn man in Jugend­her­bergen und so weiter kam, gab es das ja alles nicht. Da durfte nicht geraucht werden, und da durfte nicht getrunken werden.

Hier um Berlin rum war unser bevor­zugtes Ziel immer Ützdorf. Das liegt zwischen Liep­nitzsee und Bogensee nörd­lich von Bernau. Da war so ne ganz alte Jugend­her­berge, die ist irgend­wann mal ein Bauern­haus gewesen. Da zog’s uns immer hin. Ersten­smal konnte man da gut baden gehen, waren überall Bade­ge­le­gen­heiten. Und da war Mutt­chen in der Jugend­her­berge, und alle liebten Mutt­chen. Zum Schlafen war da unten nur ein Zimmer mit sechs Betten und denn war oben nur der Boden, und da lagen eben Stroh­säcke, da konnte man nur auf Stroh­sä­cken schlafen. Aber wir sind da oft raus­ge­fahren. Es gab ja auch neuere, zum Beispiel in Zossen war ne neuere, hier bei Tiefensee und in Brie­se­lang. Brie­se­lang liegt Rich­tung Kremmen, Nauen, Falkensee. Also west­lich von Berlin. Zossen lag südlich, Ützdorf lag nörd­lich und Tiefensee lag östlich.

Wenn wir jetzt so Wilde Cliquen getroffen haben, da haben wir uns meist seit­lich in die Büsche geschlagen, wenn wir die gesehen haben. Ersten­smal – bei uns war das Niveau ja doch auch irgendwie ein biss­chen höher. Bei uns war auch kaum einer, der nicht einen erlernten Beruf hatte. Und das macht doch sehr viel aus. Also bei uns gab es Schlosser und Maurer und Zimmerer und Elek­triker, Buch­dru­cker, Schrift­setzer. Die Mädchen, ein paar waren Schnei­de­rinnen, aber die meisten waren alle im Büro. Einige gingen auch zum Lyzeum, andere hatten eben die Handels­schule besucht, und dann hatten wir ein paar Schüler auch, Jungen, die das Abitur gemacht haben. Ja, das war doch anders. Bei den Wilden Cliquen, das waren fast alles so unge­lernte Leute, die sich da so trafen. Also doch ein biss­chen mieser als wir.

Einmal ist ein Mädchen zu uns gekommen, die auch eine Zeit­lang bei uns war, die in solch einer Wilden Clique da mitlief oder was. Sie hat sich nie so richtig ausge­lassen, was sie denn eigent­lich da wegge­trieben hat, aber wahr­schein­lich hat es ihr eben doch nicht zuge­sagt, das war ihr wohl doch nicht ganz das rich­tige.

Hilde­gard Schön­rock: Wir kamen gerade so hin
Alle Kapitel:
01 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17

[ Artikel drucken oder PDF ]

ANZEIGE