12 – Schulzeit

Ich habe die Volks­schule besucht, zuerst die 206. Schule in der Siemens­straße bis zwölf Jahre, und dann bin ich in die welt­liche Schule gekommen, 1923. Das wissen die meisten Leute gar nicht, dass welt­liche Schulen in Berlin exis­tiert haben und unter anderem eben auch im Bezirk Tier­garten, und zwar in der Walden­ser­straße. Die Schule in der Walden­ser­straße war damals welt­liche Schule von 1923 bis 1933. Mein Vater ist schon vor meiner Geburt aus der Kirche ausge­treten. Also, ich bin nie irgendwie Mitglied einer Kirche oder Glau­bens­ge­mein­schaft gewesen. Das ergab sich rein so. Damals war es eigent­lich für Sozi­al­de­mo­kraten beinahe selbst­ver­ständ­lich, nicht in der Kirche zu sein. Was meist gar nicht so bekannt ist, aber es war tatsäch­lich so.

Und in der welt­li­chen Schule, ja, da waren unter anderem so Lehrer wie zum Beispiel der Begründer der Frei­kör­per­kultur hier in Berlin, Adolf Koch. Der war da Lehrer, und da wurde auch eigent­lich die erste Frei­kör­per­kul­tur­gruppe gegründet, bei uns an der Schule. Das wissen auch viele nicht. Nachher, da war ein großer Skandal mal dazwi­schen, dann kam ein Prozess und alles mögliche, dann wurde das verboten. Vor allem, weil er das wohl an der Schule gemacht hatte, also, das hing wohl alles irgendwie damit zusammen.

In der Schule waren fast alles junge Lehrer, die sich damals dafür meldeten. Die meisten waren alle soge­nannte Jung­lehrer. Nach dem ersten Welt­krieg war es doch auch sehr schlecht mit Lehrern, also die meisten waren ja auch arbeitslos. Dann wurden Jung­leh­rer­stellen geschaffen, die auch für die Hälfte arbeiten mussten, wo auf eine Plan­stelle auch zwei oder so unge­fähr kamen, ich weiß nicht, wie man damals das bezeich­nete. Aber jeden­falls kriegten die sehr viel weniger als die anderen. Und dadurch waren eine Menge junger Lehrer da, und es ist ja doch anders. Ich kann mich erin­nern, in meiner alten Schule, wenn die Tanten da mit den Steh­kragen noch rumliefen, und man hatte jetzt plötz­lich junge Lehrer, die ganz anders zu einem waren. Die sind mit Schil­ler­kragen rumge­laufen und so weiter. Das war natür­lich irgendwie anders.

Früher waren ja doch Mädchen und Jungen streng getrennt, aber dann fing man schon an, gemischte Klassen zu machen, zumin­dest bei den Anfän­gern ging es mit gemischten Klassen los. Aber so zwischen­durch waren auch bei uns so ein paar Klassen, wo dann zuviel Mädchen für eine Klasse und zuviel Jungen für eine Klasse waren und dann hat man eben eine gemischte noch gemacht.

Mir hat es immer Spaß gemacht, in die Schule zu gehen, ich habe gerne gelernt. Ich konnte eigent­lich nicht genug lernen. Ich kann mich erin­nern, ich bin Ostern 1917 in die Schule gekommen und konnte bis zum Herbst schon lesen und auch schon etwas schreiben. Also ich habe, da nun nichts anderes da war und die meisten Bücher, die von meinem Vater da waren, für mich unin­ter­es­sant waren, habe ich dann Zeitung gelesen. Kann mich unter anderem erin­nern, dass einer meiner ersten Romane, die ich damals im „Vorwärts“ gelesen habe, der hier in Berlin das Blatt der Sozi­al­de­mo­kraten war, „Stine Menschen­kind“ von dem Andersen Nexö war. Der hat nach dem Krieg in der Ostzone hier gelebt und ist in den 60er Jahren, glaube ich, auch im Osten hier irgendwo verstorben. Der hat aber sehr gut die Verhält­nisse der Arbeiter in Däne­mark geschil­dert, unter anderem in „Pelle, der Eroberer“ in Kopen­hagen.

Na ja, und da war ich natür­lich stolz, als ich an meinen Vater – der war ja Soldat – die ersten Zeilen so schreiben konnte. Na ja, und im Krieg, Gott, meine Mutter konnte ja nicht arbeiten, wir waren drei kleine Kinder und da hatte sie mit uns zu Hause genug zu tun, in nem Hinter­haus vier Treppen hoch, und immer mit den Kindem die vier Treppen rauf und runter, und dann mit Anstehen und so. Es war ja doch wirk­lich schlimm im ersten Welt­krieg. Also von 1916 an war es doch wirk­lich furchtbar. Ich erin­nere mich, dass es eigent­lich schlimmer war als im Zweiten Welt­krieg mit den Zutei­lungen und mit allem. Von dem biss­chen Unter­stüt­zung, das man kriegte, es war ja wirk­lich wenig, da konnte man gerade seine Rationen kaufen und die Miete bezahlen. Man nannte das Kriegs­un­ter­stüt­zung.

Und 1925 bin ich dann aus der Volks­schule gekommen und bin dann zur Handels­schule gegangen, zur städ­ti­schen Handels­schule, in Moabit, in der Turm­straße. Die war damals in diesem Gebäude, das fast an der Otto­straße steht. Also, ich weiß nicht, was da heute an der Ecke drin ist, früher war’s mal Kauf­haus, war Karzentra drin und ganz früher Lach­mann & Scholz. Daneben war die Schule, da ist heute auch noch ne Schule. Da war eine, wie man damals sagte, eine Gemein­de­schule, und dann war die Handels­schule und außerdem noch eine Fort­bil­dungs­schule für Schnei­de­rinnen, soweit ich mich erin­nern kann. Und dann ging es ja durch zur Zwing­li­straße. In der Zwing­li­straße war damals die Kirchner-Ober­re­al­schule. Das war ne Ober­schule für Jungen. Die ist, glaube ich, heute noch Schule.

Wir haben zeit­weise in einer Klasse da in der Schule Unter­richt gehabt, denn für die Handels­schule reichten die Klassen nicht aus, und da hatten wir zwei Klassen drüben noch in der Kirchner-Ober­re­al­schule. Gelernt haben wir da Buch­füh­rung, Steno­grafie, Schreib­ma­schine, Deutsch, etwas Englisch und na ja, was für den allge­meinen Büro­ge­brauch eben so üblich ist.

Ursprüng­lich hatte ich mir mal vorge­stellt, Schnei­derin zu werden, ich habe immer gerne schon gehand­ar­beitet und so weiter. Da hat mein Vater gesagt, das kommt nicht infrage. Schnei­derin, den ganzen Tag an der Nähma­schine sitzen, das kommt nicht infrage. Du gehst erst mal andert­halb Jahre zur Handels­schule, und dann können wir immer noch sehen. Und da bin ich zur Handels­schule gegangen, und nachdem ich dann aus der Schule heraus war, das war im September 1926, da habe ich dann ange­fangen zu arbeiten. Mit 56 Mark im ganzen Monat.

Hilde­gard Schön­rock: Wir kamen gerade so hin
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