Turmstraße

Auch wenn die Straße Alt-Moabit älter und länger ist – das Zentrum Moabits befindet sich in der Turm­straße. Hier konzen­triert sich das Leben im Stadt­teil, beson­ders in der west­li­chen Hälfte zwischen Strom- und Beus­sel­straße. Es gibt fast kein Haus ohne ein Gewerbe: Friseure, Geschäfte, Restau­rants und Imbisse reihen sich anein­ander.

Während der west­liche Abschnitt von Handel und Dienst­leis­tung geprägt ist, wird die Turm­straße östlich vom Kleinen Tier­garten domi­niert und am Ende vom Krimi­nal­ge­richt. Gegen­über davon befindet sich bereits seit 1979 die Doro­theen­städ­ti­sche Buch­hand­lung. Inhaber Klaus-Peter Rimpel hat nicht nur eine wirk­liche Kiez-Buch­hand­lung geschaffen, er orga­ni­siert auch ständig Lesungen im Hinter­zimmer, Damp­fer­fahrten mit Musik und Erzäh­lung rund um Moabit sowie jähr­lich die „Moabiter Krimi­nale“. Zur ersten Krimi­nale Mitte der 1990er Jahre wurde in einer spek­ta­ku­lären Aktion sogar der Bezirks­bür­ger­meister aus dem Rathaus entführt.

Heute findet man in der Turm­straße nur noch wenige altein­ge­ses­sene Geschäfte, wieder einmal verän­derte sie ihr Gesicht. Das gilt auch für das 1903 als erstes Moabiter Kauf­haus „Lach­mann & Scholz“ umge­baute Eckhaus Turm­straße 76 / Otto­straße 21. Es ist heute nicht mehr als ehema­liges Kauf­haus erkennbar. Die ursprüng­liche Fassade ist 1924 vom Sohn des Haus­ei­gen­tü­mers, umge­staltet worden und wurde 1924 zu Linde­mann & Co. 1929 über­nahm Karstadt die Firma und das Haus. Aufgrund der Wirt­schafts­krise wurde Karstadt umge­baut, das Haus an der Turm­straße firmierte dann unter dem Namen Karzentra. Nach dem Krieg blieben die Fenster noch bis 1949 zuge­mauert, 1951 erfolgte eine Sanie­rung und Wieder­eröff­nung erneut als Karstadt. Also 1978 am Leopold­platz das große Karstadt-Waren­haus eröff­nete, ist das Moabiter Haus geschlossen und schließ­lich wieder zu einem Wohn­haus umge­baut worden.

Ähnlich erging es dem Kauf­haus an der Ecke zur Wilhelms­ha­vener Straße. Dieses Gebäude war 1960 als Hertie eröffnet worden. Hertie wurde 1994 von Karstadt aufge­kauft, behielt aber noch den alten Namen. Erst im September 2002 prangte kurz­zeitig der Name Karstadt an dem Waren­haus. Von 2005 bis 2009 lief es dann nochmal unter dem Namen Hertie, aber nicht der glei­chen Firma wie zuvor. Dann war Schluss und das Haus wurde vier Jahre lang entkernt und komplett umge­baut. Heute sind dort mehrere Geschäfte und Studios unter­ge­bracht, in den oberen Etagen wohnen Menschen.

Ursprüng­lich reichte die Turm­straße mal bis zur Heide­straße, dann aber kam die preu­ßi­sche Kaserne und weiter hinten die Bahn­an­lagen dazwi­schen. Auch die Kaserne ist längst wieder Geschichte. Nun endet die Straße gera­de­wegs am Fritz-Schloß-Park.

Noch viel früher hieß die Turm­straße Span­dauer Heerweg, bis sie spätes­tens 1818 ihren heutigen Namen bekam. Zwischen­durch, Mitte 1945, nannte man sie kurz­fristig nach Ernst Thäl­mann. Aber das war den neuen Herren wohl zu kommu­nis­tisch.

Aber warum heißt sie über­haupt Turm­straße? Ihren Namen soll sie der Tatsache verdanken, dass man bei ihrer Anle­gung 1827 zu beiden Seiten auf Kirch­türme blicken konnte – jeden­falls, wenn man extrem gute Augen hatte. Im Westen soll man den Kirch­turm der Niko­lai­kirche in Spandau, in Osten den der Sophien­kirche in Mitte gesehen haben. Wenn man auf dem Stadt­plan beide Punkte verbindet, erhält man tatsäch­lich eine gerade Linie, die parallel zur Turm­straße verläuft. Zwar rund 200 Meter weiter nörd­lich, aber sehen konnte man die Kirch­türme viel­leicht trotzdem. Diese Theorie ist aller­dings umstritten. Manche behaupten, einer der Türme der Pulver­fa­brik wäre Namens­geber der Straße. Vermut­lich lässt sich das genauso wenig klären, wie die Herkunft des Namens Moabit.

Was sich nicht geän­dert hat: Die Straße ist wohl schon immer eines, nämlich laut und voller Menschen. Dies trifft auch auf den Mathilde-Jacob-Platz zu, vor dem Rathaus Tier­garten. Bis 1997 hatte der Platz keinen Namen – wozu auch, denn er diente ledig­lich als Park­platz für das Rathaus. Schon ein Jahr zuvor hatten sich einige dafür einge­setzt, dass der Platz nur noch von Fußgän­gern genutzt werden soll und den Namen von Mathilde Jacob erhält. Sie war die Freundin und Sekre­tärin von Rosa Luxem­burg und lebte in der Alto­naer Straße, fast am Hansa­platz.
Nach einer Lesung des Schrift­stel­lers Heinz Knob­loch aus seinem Buch „Meine liebe Mathilde“ in der Doro­theen­städ­ti­schen Buch­hand­lung grün­dete sich ein „Kriegsrat“, um den Namen durch­zu­setzen. Zusammen mit dem Schrift­steller Walter Jens und der SPD-Abge­ord­neten Jutta Leder fiel es leicht, den dama­ligen Bezirks­bür­ger­meister Jörn Jensen von den Grünen zu über­zeugen. Selbst­ver­ständ­lich war die CDU dagegen, die angeb­liche Kommu­nistin (die jedoch in der SPD war) zu ehren, obwohl sie 1943 im KZ There­si­en­stadt ermordet wurde.
Seit Februar 1997 trägt das Rathaus nun die Adresse Mathilde-Jacob-Platz 1.

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