Adam, nicht Jakob

Es geht uns gut. Auch wenn man von Hartz IV lebt, sich kein Kino leisten kann und nur einmal im Jahr eine neue Hose oder ein Paar Schuhe. So habe ich es empfunden, als ich nach einem halben Jahr in Indien wieder nach Berlin zurück kam. Die sozialen Unter­schiede dort sind krass, in den Slums der Groß­städte sieht man die Menschen verhun­gern oder an Krank­heiten sterben, die in Deutsch­land niemandem das Leben kosten würden.
Natür­lich kann man das Leben in Berlin nicht mit dem in einem indi­schen Slum verglei­chen. Auch wenn in Deutsch­land die soziale Kluft riesig ist, muss hier niemand verhun­gern.

Moabit, ein Abend im Sommer. Unter der Brücke an der Spree liegen zwei Männer auf einer alten Matratze im Schlaf­sack, neben ihnen ein unde­fi­nier­barer Haufen aus Tüten und Kartons. An einer provi­so­risch aufge­hängten Leine trocken ein paar kaputte Socken.
Ein skep­ti­scher Blick in meine Rich­tung, aber ich gehe auf sie zu und reiche ihnen die Tüte mit den gerade gekauften Äpfeln. Der Ältere lächelt und setzt sich auf, er freut sich über das Geschenk, während der andere ihm etwas zuflüs­tert. “Sei vorsichtig”, heißt das, obwohl ich es gar nicht verstehe. Dann aber hockt auch er sich hin und klet­tert aus seinem Schlaf­sack. Er ist nur mit Shorts und T‑Shirt bekleidet, beides sehr schmutzig, wie auch seine Haut. Kein Wunder, bei diesen Lebens­ver­hält­nissen.

Wir kommen ins Gespräch. Er ist aus Polen, schon seit ein paar Jahren in Berlin, und spricht ganz gut Deutsch. Damals hatte er Arbeit, auf dem Bau, konnte eine Wohnung mieten, “da hinten” sagt er und zeigt Rich­tung Turm­straße. Aber sein Chef zahlte den Lohn nicht, die Schulden häuften sich und nun liegt er hier unter der Brücke. Zuhause in Polen wollen sie von ihm nichts mehr wissen.
Manchmal geht er betteln, bekommt aber kaum etwas. Ich frage ihn, warum er nicht in die Notun­ter­kunft geht, in der Lehrter oder der Fran­k­lin­straße. “Alles Verbre­cher da”, antwortet er, er wurde dort mal bestohlen.

Dann holt er seine Hose aus dem Schlaf­sack, zeigt mir ein paar Münzen, es sind nicht mehr als 4 Euro. Der Ältere stupst ihn an, diesmal ist er es, der warnt. Ich habe einen 5‑Euro-Schein dabei und gebe ihn dem Jüngeren, sage aber, dass er für beide ist. Der Ältere lacht, “Jakob, Jakob, ha ha ha.”
“Du heißt Jakob, ja?”
“Nein. Er auch nicht. Weiß nicht, wer Jakob ist. Ich heiße Adam.”
Jetzt lachen wir alle Drei.
Adam reicht mir seine Flasche, die er aus dem Wust seiner Klamotten zieht. Sie ist ziem­lich dreckig, ich lehne ab und hoffe, dass er es mir nicht übel nimmt. Aber er ist ein lustiger Kerl, lacht wieder und nimmt selbst einen Schluck.
Dann will er wissen, wo ich wohne, ob es eine gute Wohnung ist und wie teuer. “Moabit ist gut”, sagt er, “Wedding auch.” “Aber Mitte ist scheiße. Polizei schickt uns weg, Touristen sagen, wir sind Penner. Aber wir sind nicht krimi­nell, nur arm. Keine schlechten Menschen, wirk­lich.”

In der Zwischen­zeit kommen mehrere Passanten vorbei. Alle gehen sie auf der anderen Seite des Wegs lang, mit möglichst viel Abstand, als wenn wir eine Bedro­hung darstellen. Ich gehöre in diesem Moment zu Adam und seinem Kumpel und merke, wie sie abge­lehnt werden. Ein Mann mit Hund schaut demons­trativ verächt­lich zu uns, in seinen Augen sind wir offenbar minder­wer­tiges Leben.

Wir reden noch ein paar Minuten, dann ziehe ich wieder meiner Wege. Und mir wird mal wieder klar, welchen Reichtum doch meine kleine Wohnung, der wenige Besitz und mein recht sicheres Leben darstellt.

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