Unmenschlicher Umgang

In Mitte und speziell Moabit rumort es. Vorletzte Woche hat Bezirks­bür­ger­meister Stephan von Dassel mal wieder ein Obdach­lo­sen­camp räumen lassen, das sich unter einer Brücke der Straße Alt-Moabit befand. Dort haben sie niemanden gestört, außer viel­leicht der „öffent­li­chen Meinung“. Angeb­lich hätten sich Nach­barn beschwert, was an dieser Stelle unmög­lich ist – hier wohnen nebenan gar keine Menschen.

Und wenn es trotzdem so wäre, was soll das dann? Dieje­nigen, die hier lebten, hatten vermut­lich nichts anderes als das: Einen Platz unter einer Brücke, einen Einkaufs­wagen mit ihrer Klei­dung, sowie ein paar andere, die in der glei­chen Situa­tion sind. Als Obdachlose/​r nicht allein zu sein, ist sehr wichtig, es ist ein Schutz gegen dieje­nigen, die meinen, es handele es sich um unwertes Leben, dass man belei­digt und angreifen darf.

Dassel hat sie ange­griffen, dadurch, dass das Ordnungsamt Mitte diesen Menschen ihr biss­chen Zuhause zerstört hat. Ihr Hab und Gut wurde von der BSR in einen Müll­con­tainer geworfen, sie wurden wegge­trieben, eine Frau sogar fest­ge­nommen, weil sie sich laut­stark gewehrt hat. Die Polizei stülpte ihr sogar eine Tüte über den Kopf.

Dassel argu­men­tiert danach, dass man den Opfern die Räumung ja vorher ange­kün­digt hätte, als wenn es das besser machen würde. Man hätte ihnen auch Alter­na­tiven ange­boten, die sie aber nicht ange­nommen haben. Dabei unter­schlägt er jedoch, dass diese „Alter­na­tiven“ für viele gar keine sind! Denn diese Ange­bote bestehen darin, in Notun­ter­künfte zu gehen. Dort jedoch werden die Menschen oft bestohlen, sie dürfen ihre Hunde nicht mit rein nehmen und keinen Alkohol konsu­mieren. Da viele von ihnen aber alko­hol­krank sind, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig. Aus eigener Kraft werden die meisten nicht davon wegkommen. Sie deshalb aus der Notüber­nach­tung auszu­schließen, bedeutet also, sie ihrem Schicksal zu über­lassen. Dann soll man das aber deut­lich sagen, dass einem das Leben dieser Menschen scheiß­egal ist, und nicht so tun, als wäre man ja besorgt. Außerdem ist eine Notüber­nach­tung etwas anderes, als ein Platz, an dem man sich den ganzen Tag aufhalten kann und nicht morgens wieder weg muss.

Ja, ich finde es auch unan­ge­nehm, wenn ich die schmut­zigen Schlaf­plätze von Obdach­losen sehe. Und davon gibt es in Berlin mitt­ler­weile sehr viel. Vor allem aber empfinde ich Mitleid und auch Scham, dass es so etwas in unserem reichen Land über­haupt gibt. Law-and-Order-Poli­tiker wie Mittes Bürger­meister Dassel heucheln Mitge­fühl – aber sie nutzen ihre Mittel nicht, um das Elend zu bekämpfen. Anstatt diesen Menschen die Polizei, Ordnungsamt und Stadt­rei­ni­gung auf den Hals zu hetzen, könnte der Bezirk an einigen Stellen auch mobile Toiletten aufstellen und Wasch­con­tainer. Dann bräuchten sich die Opfer der Vertrei­bung auch nicht anhören müssen, sie wären ja verdreckt und hätten Läuse.

Diese kleine Gruppe von Obdach­losen lebten an einem Platz, an dem sie niemanden störten. Unter einer Straße, abseits der Wege, die Passanten benutzen. Und trotzdem wurden sie vertrieben und ihre Zelte zerstört und gestohlen, so wie vorher schon unzäh­lige Male.
Seit 2017 gab es in Mitte rund 100 Vertrei­bungen wegen „ille­galem Campie­rens im öffent­li­chen Raum“. Das Bezirksamt spricht von „über 60“ Räumungen.
Dassel ist mitt­ler­weile auch in seiner eigenen Partei, den Grünen, wegen dieser unmensch­li­chen Politik gegen Wehr­lose höchst umstritten. Er ist für diese Posi­tion des Bürger­meis­ters völlig unge­eignet, in seiner Pres­se­mit­tei­lung von gestern droht er nun dem Tages­spiegel sogar recht­liche Konse­quenzen gegen dessen Bericht­erstat­tung an.
Dassel will nicht wahr haben, dass es hier nun mal auch viel Elend gibt. Und er tut so, als würde es sich bei den immer wieder hinge­stellten und dann vom Ordnungsamt zerstörten Zelte um einen Camping­platz von Touristen handeln.

„Zusätz­lich erfolgte der Hinweis darauf, dass das Campieren eine uner­laubte Sonder­nut­zung nach dem Berliner Grün­an­la­gen­ge­setz darstellt.“
(Bezirks­bür­ger­meister Dassel)

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