Relaxen mit Engel

Text von 2006, hervor­ge­kramt anläss­lich der Schlie­ßung des Dicken Engels.

Dicker Engel: Das Wirts­haus am U‑Bhf. Birken­straße hat Tische vors Haus gestellt, unter einer großen Markise sitzen 20 Gäste im Schatten, nebenan knallt die Sonne vom Himmel, aber hier ist es leicht windig und ange­nehm kühl. Jetzt um die Mittags­zeit bestellen einige ein warmes Mittag­essen, mir reicht eine Berliner Weiße. Während der wich­tigsten WM-Spiele stand immer der Fern­seher draußen, auch Passanten konnten zuschauen, nun ist es aber relativ ruhig.

Die Musik aus dem Gast­raum mischt sich mit dem Glocken­ge­läut einer Kirche, nur wenige Autos fahren vorbei. Dafür viele Jungs auf ihren Fahr­rä­dern, die zahl­rei­chen kinder­wa­gen­schie­benden Frauen erwe­cken den Eindruck, dass dass hier eine frucht­bare Gegend ist. Die Birke vor dem Lokal streicht mit ihren tief­hän­genden Zweigen den Passanten über die Köpfe, es hat etwas zärt­li­ches. Auch auf der anderen Stra­ßen­seite sitzen Menschen vor einem Lokal, relaxen, die Gegend ernährt mehrere Wirte.

Ein kleiner Junge, nicht älter als fünf oder sechs Jahre, läuft neugierig durch die Tische und das Gast­haus. Seine Mutter auf dem Bürger­steig, etwas versteckt, beob­achtet ihn heim­lich. Nach seiner Entde­cker­tour kommt er stolz mit zwei Bier­de­ckeln in der Hand wieder heraus, entdeckt seine Mama und winkt ihr fröh­lich zu. Eine weiß­haa­rige Frau schlurft heran, sucht sich einen Platz und zieht erst mal ihre Schuhe aus. Sie wird freund­lich von der Bedie­nung begrüßt, kurz danach erhält sie ihr Mittag­essen.
Aus dem U‑Bahnhof kommen mehrere Türken oder Araber, man kennt sie hier. Immer wenn unten Drogen­razzia ist, verteilen sie sich, selten wird einer von ihnen erwischt.

Eine kleine Gruppe Fußball­fans spaziert vorbei, sie sind auf dem Weg zur Fanmeile, heute ist der letzte WM-Tag. Für welche Mann­schaft sie sind, lässt sich nicht genau bestimmen, ich sehe die deut­sche Fahne, die italie­ni­sche und die fran­zö­si­sche, aller­dings hat ein Junge gleich­zeitig ein Trikot von Brasi­lien an.

Zwei junge Schwule gehen ins Gast­haus und kommen gleich darauf enttäuscht wieder heraus. Sie wollten ein paar Runden Billard spielen, aber am Sonntag ist der Tisch für den Brunch reser­viert. Trotzdem bleiben sie, bestellen sich Eiskaffee und turteln in einer Ecke mitein­ander.

Wer in die Gast­stube geht, kommt auto­ma­tisch an dem drei Meter großen Engel aus Papp­maché vorbei. Ruhig schwebt er an der Decke, schaut auf die Gäste nieder und lässt seinen Blick nach außen schweifen. Hier beob­achtet er uns, die an einem schönen Sonn­tag­mittag im Schatten relaxen. Es ist ein fried­li­cher Sommertag.

Foto: Website des Dicken Engel


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