Im Sommer 2011 gab es in Berlin eine besonders massive Häufung von Brandanschlägen auf Autos. Die Serie begann Anfang Juni und endete Ende August. In der Presse nannte man ihn bald den „Feuerteufel“. Da es keine Bekennerschreiben gab, ging die Polizei nicht davon aus, dass es sich um Aktionen von Autonomen handelte. Am 21. Oktober wurde dann der damals 27-jährige André H. festgenommen, kurz darauf legte er ein Geständnis ab.
Für seine Taten verurteilte ihn das Gericht zu sieben Jahren Haft, die im Oktober 2018 vorbei waren. Bereits im März wurde er aber auf Bewährung entlassen. Ich habe mit ihm ein Gespräch über seine Taten und auch die Zeit im Gefängnis geführt. Hier der erste Teil.
Wieviel Autos hast du denn damals angezündet?
Eigentlich waren es 102, aber dann gab es noch den Kollateralschaden, was noch mitbeschädigt wurde. Da kommt man dann auf eine Gesamtzahl von ungefähr 140.
Die große Frage natürlich: Warum hast du das gemacht?
Tja, warum. Es ging schon darum, teure Fahrzeuge zu treffen, von Fahrern, die Besserverdiener sind. Ich hatte mich damals schon eine Weile damit auseinandergesetzt, über Medien und im Internet. Linksextremismus zum Teil, 1. Mai, das war so ein bisschen Vorbild.
Es gab damals auch eine Berichterstattung, wie man ein Auto richtig anzünden kann, damit man es nicht mehr löschen kann.
Aber sich dafür zu interessieren und dann den Schritt hin zum Selbermachen ist ja schon ein Unterschied.
Am Anfang war das wahrscheinlich mehr ein Ausprobieren. Ich wusste ja, dass man dafür auch in den Knast gehen kann. Es war dann später so ein Kräftemessen mit der Polizei, die zeitweise auch mit Hubschrauber unterwegs war nachts. Zuerst bei mir in der Gegend haben sie sehr viel aufgefahren und deshalb habe ich das dann verlegt in andere Bezirke im Westteil Berlins.
Der Grund war also, den Besserverdienenden eins reinzuwürgen? Aber in der Regel verdienen die ja so gut, dass sie das Auto von der Versicherung ersetzt kriegen.
Ja klar. Ich habe dann später in den Akten auch gelesen, dass es manchmal geleaste Fahrzeuge waren oder Firmenautos, die denen nicht mal gehört haben. Es waren auch mal Autos vom Ordnungsamt dabei, in der Franklinstraße in Charlottenburg.
Wenn ich gehört habe, wessen Autos verbrannt sind, Bankmanager und so, das ist mir schon am Arsch vorbei gegangen. Gegen Ende habe ich aber auch anderes gelesen, zum Beispiel von einem Bundeswehr-Zeitsoldaten, der lange für sein Autos sparen musste. Das hat mir dann schon leidgetan
Erinnerst du dich noch, als du das erste Auto angezündet hast?
Ja, ein Audi Q5, nicht weit von meiner Wohnung entfernt in Moabit. Ich habe dann in der Nähe gewartet, hab den Schein gesehen, dass es geflackert hat und dann das Bersten der Scheiben und der Reifen. Dann kam die Feuerwehr und ich bin weg.
Über hundert Autos in drei Monaten, das bedeutet ja, mindestens ein Auto in jeder Nacht.
Ja. Es gab auch manchmal eine Nacht, in der dann nichts war, dafür in der Spitze auch mal zehn, zwölf Autos in einer Nacht.
Das hört sich schon wie ein Suchtverhalten an.
Ja, kann man schon sagen, der Kick ist vielleicht wirklich wie so ein Suchtverhalten. Ist vielleicht ein blöder Vergleich, aber einer der mit 200 km/h durch Berlin rast, muss ja auch ein Gefallen daran finden. Oder einer, den ich in der Haftzeit kennengelernt habe, der hat Banküberfälle gemacht. Da ist es auch nicht bei ein, zwei geblieben, sondern am Ende waren es schon 20. Das hat ihn dann für 14 Jahre hinter Gitter gebracht.
Ich habe immer gedacht, es geht gut. Es ist dunkel, man kann mich nicht erwischen, sie können ja nicht alles überwachen. Klar kann es mal dumme Zufälle geben, aber das habe ich gut verdrängt.
Erst im Laufe der Zeit hab ich gesehen, was die Polizei macht, was für Maßnahmen da ergriffen werden. Einmal wurden ganz nahe auch mal zwei Tatverdächtige festgenommen, am S‑Bahnhof Bellevue, mindestens einer von beiden hatte auch Kontakte zu Linksradikalen. Die hatten in der gleichen Nacht als ich unterwegs war, zehn Autos angezündet, darunter auch ein Porsche, und haben das noch gefilmt. Die Polizei war mit mehreren Hundertschaften unterwegs, Hubschrauber, und die haben sie dann geschnappt. Eine Frau hatte die beobachtet und die Polizei informiert.
Einmal hatte ich das auch, ganz in der Nähe. Ich hatte das mit dem Autos schon gemacht, da hörte ich von irgendeinem Balkon so ein Klicken und habe mich erstmal versteckt. Dann kamen auch schon zwei Streifenwagen an. Aber ich konnte noch abhauen. Auch einmal in Steglitz, da war die Polizei ganz schnell da und ich konnte gerade noch weg, am Titaniapalast vorbei. Ich dachte: „Ups, jetzt aber schnell weg hier.“
Hast du die Polizeiaktivitäten verfolgt?
Ja, ich habe schon mitbekommen, wenn sie unterwegs sind. Nicht nur mit Blaulicht und Sirene, zivil auch. Teilweise bin ich ja schon vor ihren Augen aus dem Haus gekommen.
Was hast du gemacht, nachdem es die ersten Male gut geklappt hat? Wie lange sollte das gehen, bis zu einem bestimmten Punkt?
Erstmal hatte ich Gefallen daran gefunden, weil Berlin ja so unendlich groß ist und ich so viele Möglichkeiten dazu habe. Ich habe dann die Orte verlagert, den Radius nach Neukölln, Kreuzberg, Lichterfelde und so erweitert.
Erst später habe ich dann bei zwei, drei Fällen aus der Presse erfahren, dass es doch eine sehr knappe Sache sein kann und ich eigentlich aufhören muss. Zum Beispiel, weil auch Häuser gefährdet werden könnten. Wenn dann da eine Gaskartusche auf nem Balkon hoch geht, könnten Menschen schwer verletzt werden. Aber bei allen meinen Anschlägen wurde zum Glück niemand verletzt. Nach fast drei Monaten habe ich auch tatsächlich aufgehört.
Zwei, drei Tage später ging dann eine größere Observationsmaßnahme los durch die Soko Feuerschein, die dann gegründet wurde. LKA, Bundespolizei, Staatsschutz wurden zusammengezogen, auch aus mehreren anderen Bundesländern. Und die haben dann 650 Beamte, hauptsächlich in Mitte/Tiergarten reingeschickt, um Ausschau zu halten. Aber zu spät.
Trotzdem sind sie dann aber auf dich gestoßen.
Ende August, als ich eigentlich schon aufgehört hatte und einfach nur so unterwegs war in Tiergarten, habe ich plötzlich eine Observation bemerkt. Ich kann mich noch gut erinnern, wie zwei Bundespolizisten eingestiegen sind in den BVG-Bus und sechs bis acht Zivilfahrzeuge den Bus verfolgt haben.
Anscheinend haben sie mich vorher zufällig entdeckt und an meinem Gang erkannt. Vorher gab es nur ein paar Videoaufnahmen vom U‑Bahnhof Haselhorst und man muss schon ein sehr gut geschultes Auge haben, um mich dann am Gang zu erkennen.
Sie haben dich gefilmt, als du am U‑Bahnhof ankamst und eine Weile später wieder weggefahren bist. Und in der Zwischenzeit wurde dort ein Auto angezündet. So sind sie wohl auf dich aufmerksam geworden.
Ja, so kam das erstmal ins Rollen. Die Observation ging etwa zwei Monate. Die Aufnahmen vom Bahnhof wurden danach an die Fahrzeuge der Soko verteilt, nach dieser Person sei Ausschau zu halten, so haben sie es mir später beim LKA erzählt. Also ab Ende August waren sie an mir dran.
Wie hast du reagiert?
Panik hatte ich nicht, aber es hat mich schon angekotzt, weil ich auch nicht wusste, was passiert jetzt. Am nächsten Morgen waren sie wieder weg, aber bei Einbruch der Dunkelheit standen sie wieder da, vor meinem Haus. Ich habe dann versucht, mich so normal wie möglich zu verhalten, nichts anmerken zu lassen, habe Freunde besucht, meine Mutter und das Gemeindehaus. Ich dachte, wenn ich das so weitermache, verlieren sie irgendwann die Lust und brechen das ab. Letztlich war es genau das Gegenteil, sie haben angefangen, mich 24 Stunden zu überwachen. Das ging dann wieder wochenlang. Die Polizei hat versucht rauszukriegen, ob ich die Observation bemerkt haben könnte, natürlich habe ich das bemerkt. Sie haben sich manchmal sehr dusselig angestellt, das haben sie später auch in der Vernehmung gesagt. Viel zu auffällig, viel zu nah dran und so. Hinter einer Säule verstecken, im Auto flach hinlegen, das habe ich ja mehrmals mitgekriegt.
Es gab in dieser Zeit ja dann auch keine Brandanschläge mehr.
Genau, das hatte abrupt aufgehört. Sie haben die Observation dann sehr intensiviert. Als ich damals mal mit dem Fahrrad am Schlachtensee unterwegs war, habe ich ein Handy gefunden und jemand ist mit seinem Fahrrad weggefahren. Es sah so aus, als wenn es dort platziert worden wäre. Vielleicht war das irgendwie präpariert. Ich habe das Handy aber zum nächsten Polizeiabschnitt nach Nikolassee gebracht und abgegeben. Die haben sich dann noch bedankt, es ist schön, dass es noch Bürger gibt, die so ehrlich sind.
Als ich rauskam standen plötzlich die anderen Fahrzeuge von der Soko da, die die Wache beobachtet haben, weil ich da reingegangen bin. Kaum bin ich weggefahren, ist einer von denen dann da reingelaufen.
Es ist ja schwer, mit Autos ein Fahrrad zu observieren.
Nach ungefähr einem Monat sind sie auch auf Fahrräder umgestiegen. Ich bin dann aber relativ weit gefahren, Grunewald, in den Forst rein. Habe gedacht, denen werde ich es jetzt aber richtig zeigen, was hier Sport ist. So lief das eine Weile noch.
Einmal habe ich auch einen direkt angesprochen, ob er mir mal einen Hunderter wechseln könnte. Das war ein Hamburger, es waren immer noch Beamte aus anderen Bundesländern beteiligt. Der war dann ganz verdattert und weg war er.
Und dann kam der Tag der Festnahme.
Ja, sie haben früh morgens Sturm geklingelt, meine Mutter hat denen aufgemacht. Dann wurde die ganze Wohnung durchsucht und sie sind auch noch in den Keller. Ich glaube da hatten sie vorher schon eine Kamera installiert, die sie nun wieder rausholen wollten.
Dann haben sie mich zum Tempelhofer Damm zum Verhör gefahren, beim LKA, Staatsschutz. Am Anfang habe ich noch gedacht, dass ich mich da irgendwie rausreden kann, aber das klappte natürlich nicht. Zumal sie unter einem enormen Druck standen.
Glaubst du, sie waren sich zu diesem Zeitpunkt sicher, dass sie den Richtigen hatten?
So teils, teils, vielleicht zu 50 Prozent. Aber ich habe mir schon gedacht, dass sie sich relativ sicher sind. Als sie mir dann die große Karte gezeigt haben, wo alle Brände eingezeichnet waren, war mir schon klar, dass ich da nicht mehr raus komme. Am ersten Tag war das Verhör dann acht oder zehn Stunden.
Es wurden dann anhand von Listen alle einzelnen Fälle aufgerollt, fast wie im Erdkunde-Unterricht in der Schule, nur mit so kleinen, gelben Flammen auf der Karte. Da hab ich gedacht: „Ach du Scheiße, da warste doch ganz schön viel unterwegs.“
Ich habe dann alles zugegeben. Sie haben sehr viel wissen wollen, zum Beispiel, wie ich die Tatorte erreicht habe. Meistens zu Fuß oder mit dem Fahrrad, manchmal auch mit den Öffentlichen. Dabei haben sie mich ja dann auch gefilmt.
Die Vernehmungen haben insgesamt ungefähr einen Monat gedauert. Wir sind auch noch zwei- oder dreimal zu einigen Tatorten hingefahren, nachts mit dem Polizeiwagen, teilweise bis nach Staaken raus und nach Lichtenrade. Auch zu Orten, wo ich es gar nicht gewesen bin.
Ich habe später gelesen, sie hätten dir die Taten gar nicht nachweisen können, wenn du kein Geständnis abgelegt hättest.
Ja, der Gerichtssprecher hat das im Fernsehen gesagt. Aber dann hätten sie mich irgendwann mal gekriegt, falls ich doch wieder angefangen hätte.
Der Prozess war dann relativ kurz.
Genau, vier Verhandlungstage. Die Verlesung der Anklage hat eine halbe Stunde gedauert weil der Staatsanwalt noch alle Adressen vorgelesen hat, wo ich was gemacht hatte. Er hat dann acht Jahre gefordert, schließlich sind es sieben geworden.
Wurde dort auch der entstandene Schaden ermittelt?
Es wurde gesagt, 1,2 Millionen Euro. Es ist aber so, dass man die entstandenen Polizei- und Feuerwehreinsätze auch noch rechnen muss und das liegt im zweistelligen Millionenbereich. 650 Beamte aus mehreren Bundesländern, über Tage. Dazu die Hubschraubereinsätze, das ist alles wesentlich mehr, als der eigentliche Sachschaden.
Nach dem Prozess saß André H. zuerst noch einige Monate in der JVA Moabit und wurde dann nach Tegel verlegt. Über die Zeit dort berichtet er im 2. Teil des Interviews.