Der Ottoplatz

Früher sah man an Haus­wänden noch die alte verwit­terte Parole: „1. Mai, Otto­platz“. Sie sah Jahr­zehnte alt aus und das war sie auch. Der Otto­platz zwischen Alt-Moabit und Turm­straße war in den 1970er Jahren ein Treff­punkt der linken Stadt­teil-Bewe­gung, neben dem Stephan­kiez ein Zentrum von Moabit. Jeden­falls das Zentrum derje­nigen, die ihren Kiez nicht den Stadt(zer)planern über­lassen wollten, deren dama­lige Pläne eine Auto­bahn­schneise durch Moabit vorsah. Verschie­dene linke Gruppen und Nach­bar­schafts-Initia­tiven betei­ligten sich an Wider­stands­ak­tionen, die Kiez­zei­tung „21“, benannt nach dem dama­ligen Post­zu­stell­be­zirk, war erst Sprach­rohr der Abriss­gegner, später dann immer mehr Doku­men­ta­tion der Strei­tig­keiten unter­ein­ander.

Während­dessen entwi­ckelte sich die Gegend um den Otto­platz, und auch der Platz selber, der ja eigent­lich ein kleiner Park ist. Das nahe Karstadt-Haus schräg gegen­über wurde geschlossen, dafür nahmen die Haus­be­set­zungen zu. Ein Teil des Parks wurde abge­zäunt, hier entstanden Spiel- und Sport­plätze für die Moabiter Gören.

Direkt an der Straße Alt-Moabit gelegen hört man heute über­ra­schend viel Gezwit­scher aus den Bäumen. Schon vor Jahren wurde der Platz an der Otto­straße umge­staltet, zahl­reiche Stahl­bänke wurden aufge­stellt, auch fest im Boden veran­kerte Tische aus Beton zum Schach­spielen. Hier haben Realisten geplant, denn die soge­nannten Stadt­möbel leiden doch sehr durch ihre Benut­zung.

Heute sieht der Platz ziem­lich verkommen aus, zwischen den einbe­to­nierten Inseln mit Büschen und Bäum­chen nur grober Sand, der dem Platz einen schmut­zigen Charakter gibt. Dazwi­schen besprühte Beton­klöpse, die Kunst darstellen sollen. Hier trifft sich die typi­sche Moabiter Mischung: Migranten, Studies, Mütter, Rentner und viele Kinder und Jugend­liche. Ledig­lich der Weg an der Rück­front der Turm­stra­ßen­häuser bietet etwas mehr Grün, die Bänke dort sind aber meist in Hand der Alko­ho­liker.

Etwas abseits steht noch die einst öffent­liche Toilette. Dahinter das Haus der Heilands­ge­meinde, wurde zum „Nutz der Frommen“ umge­baut, neben Kita und Arzt hat hier seit 2020 die libe­rale Ibn Rushd-Goethe-Moschee ihren Sitz.

Schön ist der Otto­platz nicht, aber er ist ein Ruhe­punkt, wenn auch nicht ruhig. Man kann sich am Imbiss eine Flasche Kakao holen, sich in Blick­rich­tung zu den Bäumen hinsetzen und seine Gedanken schweifen lassen. Oder etwas schreiben, so wie diesen Text. Ob der Platz mal schöner wird, viel­leicht mit einem kleinen Rasen? Vermut­lich nicht. Der Bezirk hat ja kein Geld, niemand hat Geld, wie auch die anderen, die neben mir sitzen. Aber sind sie es deshalb nicht wert, dass man ihren Treff­punkt etwas schöner gestaltet?

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