Nicht in Moabit, aber ganz nahe dran entstand 1975 das erste nicht-kommerzielle Wandbild im damaligen West-Berlin. Der Künstler Ben Wagin malte seinen Weltbaum an eine Fassade neben dem S‑Bahnhof Tiergarten, als Mahnung gegen die Umweltzerstörung. Weil der Platz vor dem Bild zugebaut wurde, hat eine Künstlergruppe 2018 das Wandbild 1:1 auf die Brandwand eines Hauses in der Lehrter Straße übertragen und damit gerettet. Ben Wagin war bei der offiziellen Eröffnung dabei und freute sich, dass sein Bild nun doch nicht verloren ist.
Bis heute werden gesellschaftliche Themen auch in Großformat als Wandbilder dargestellt. Die Internetseite www.wandbilder-berlin.de listet allein in Moabit 49 Bilder auf. Nicht alle sind über vier oder fünf Etagen und meist sind es auch keine tiefsinnigen Motive. Stattdessen viele großformatige Pflanzen oder Alltagsszenen.
Neben der ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße hat die Künstlerin Anna Schubert den Portikus des Gebäudes dargestellt. Dies ist eine politische Aussage, denn die Nazis missbrauchten die Synagoge als Sammellager für ihre Juden-Deportationen.
Mit ihrem Wandbild „Der zivilisationsgeschädigte Sanierungsbaum durchstößt die Moabiter Geschichtslandschaft“ schuf die Gruppe Ratgeb 1979 in der Pritzwalker Straße ein ebenfalls höchst politisches Bild. Ihr ging es damals um die Kahlschlagsanierung alter Wohnquartiere. Es war nach dem Weltbaum das zweite nicht-kommerzielle Wandbild im Westen der Stadt. Heute verblasst es hinter hohen Bäumen.
Nicht politisch, aber sehr persönlich kann man vielleicht das Bild in der Rathenower Straße nennen, gemalt von Freunden des jungen Ferhat Şen. Er wurde im Frühjahr 2006 beim Schlichten eines Streits erstochen.
Besonders eindrucksvoll ist das 2018 gemalte Wandbild in der Stromstraße. Nicht nur, weil es sofort ins Auge fällt, wenn man über die Putlitzbrücke kommt. Auch seine Aussage ist bemerkenswert: „Solange Du aufrecht stehst, unterstütze die, die Dich brauchen“. Mag sein, dass es auf die breite Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung anspielt, die gerade hier in Moabit vielen Flüchtlingen geholfen hat. Leider wird dieses Bild wohl bald durch einen Neubau verdeckt.
Die gleichen Künstler haben auch das Bild in der Sickingenstraße gemalt: „In diesem Spiel namens Leben gibt es Energiequellen, die Du erst entdeckst, wenn Du Dich um andere kümmerst.“
Die meisten Wandbilder in Moabit sind aber unpolitisch, manche jedoch interessant. Die falschen Fassaden am Europaplatz sind leider schon wieder zugebaut, anders als die auf einem Hof in der Jagowstraße. In der Beusselstraße fährt ein Lieferwagen durch die Fassade, in Alt-Moabit halten zwei Hände eine Saxophonspielerin, während sich in der Seydlitzstraße der arme Poet des Malers Carl Spitzweg in einer farbenfrohen Interpretation wiederfindet, umgeben von umherfliegenden Buchstaben.
Auf einen noch viel älteren Künstler beruft sich das auf einem Hof der Zwinglistraße versteckte Bild, das Leonardo da Vinci zitiert. Dort ist über fünf hohe Etagen unter anderem seine berühmte Proportionsstudie von 1492 „Der vitruvianische Mensch“ zu sehen. Nicht zu vergessen das Bild an der Kulturfabrik in der Lehrter Straße: Hier wird die einstige Kiezmutter Klara Franke geehrt, mit Portrait und ihrer Aussage: „Wer etwas erreichen will, muss den Politikern auf die Füße treten.“