Es gibt Dinge, die möchte man sich lieber nicht vorstellen. Wie die Tatsache, dass in einer Wohnung in der Rathenower Straße 23 ein Mensch wochenlang tot in seiner Wohnung gelegen hat, ohne dass es jemand bemerkt hat. Oder dass aufgrund der Umstände der Verdacht aufkommen muss, dass er keines natürlichen Todes gestorben sein könnte.
Tatsache ist, dass das „milieugeschützte“ Gründerzeitgebäude seit mehreren Jahren „saniert“ wird, hier wurde schon 2019 und 2021 darüber berichtet. Sanieren tut sich aber nur der dort auf den Dächern Luxuswohnungen bauende Investor. Die anderen Wohnungen wurden in Eigentumswohnungen umgewandelt. Im sanierungsbedürftigen Haus selbst ist kaum etwas passiert. Von Milieuschutz keine Spur.
Dafür das volle Programm: Altmieter werden zermürbt und so herausgedrängt. Einige leben bereits 60 Jahre und länger dort. Das Hinterhaus-Dachgeschoss wurde abgerissen und nur notdürftig zwischengedeckt, sodass bei Regen das Wasser mehrfach in drei darunter liegende Wohnungen floss. Nur wenige im Haus haben sich dem Druck widersetzt, darunter zwei Bewohner, deren Wohnung mittlerweile aus durchsichtigen Gründen fristlos gekündigt wurde: Die Wohnung sei angeblich „zu voll“. Tatsächlich haben sie einfach nur sehr viele Bücher. Wer heute noch in der Rathenower 23 wohnt, lebt seit Jahren auf einer Baustelle, mit der Aussicht auf weitere Jahre. Vier Wohnungen stehen bereits leer.
Auch Herr N. wollte nicht so einfach ausziehen. Seine Dachgeschosswohnung zur Straße, in der er seit gut 40 Jahren wohnte, sollte abgerissen werden, wie auch die anderen Dachgeschosse. Er forderte vom Investor berechtigterweise eine höhere Abfindung, wegen seiner dann nachvollziehbar hohen Folgekosten. Man wurde sich nicht einig. Am Ende waren die Dachgeschosse bis vor seine Eingangstüre abgerissen und nur er war noch einsam im Weg.
Am 10. Mai wurde er nun tot in seiner Wohnung aufgefunden. Dem Zustand nach war er schon vor einiger Zeit gestorben. Auf Nachfrage gab das zuständige Polizei-Kommissariat an, dass kein Hinweis auf Fremdverschulden vorliege und von einem natürlichen Tod ausgegangen werde. Allerdings sei keine forensische Untersuchung vorgenommen worden. Es würden jeden Monat rund 300 Tote aufgefunden, da könne man das nicht jedes Mal machen. Außerdem sei die Leiche nicht mehr in einem Zustand gewesen, dass dies möglich gewesen wäre.
Den verbliebenen Hausbewohnern stellt sich nun die Frage, ob der Tod von Herrn N. wirklich so völlig „natürlich“ gewesen ist. Fakt ist jedenfalls, dass der Hauseigentümer davon stark profitiert. Dies unabhängig davon, ob eine Gewalttat vorliegt oder der vital wirkende Herr N. aufgrund des Stresses durch Lärm und die jahrelange Bedrohung gestorben ist. Da der Leichnam eingeäschert werden soll und keine forensische Untersuchung der Wohnung vorgenommen wurde, wird die Todesursache nicht mehr festzustellen sein. Zumal die Wohnung bald auch nicht mehr existieren wird.
Was bleibt, ist ein unheimliches Gefühl für die verbliebenen MieterInnen.
Grafik: RL