„Die Säuberung des Moabiter Stadtteils“

Am 9. November 1918 trat Kaiser Wilhelm zurück, das Deut­sche Reich hatte den Welt­krieg verloren (der damals noch nicht „der Erste“ genannt wurde, weil man sich nicht vorstellen konnte, dass es zwei Jahr­zehnte einen Zweiten geben würde). In Berlin riefen Kommu­nisten und Sozi­al­de­mo­kraten jeweils ihre Repu­blik aus und in den folgenden Wochen gab es zahl­reiche Kämpfe um die künf­tige Macht. Mit dem Spar­ta­kus­auf­stand wurde ab dem 5. Januar 1919 versucht, ein kommu­nis­ti­sches System durch­zu­setzen. Der Sozi­al­de­mo­krat Gustav Noske mobi­li­sierte aber Reichs­wehr­ver­bände sowie rechts­extreme Frei­korps, um gegen die Zigtau­senden vorzu­gehen, die gegen die neue Regie­rung auf die Straße gingen. Am 15. Januar 1919 wurden die Kommu­nis­ten­führer Rosa Luxem­burg und Karl Lieb­knecht ermordet.
Auch in Moabit gab es Stra­ßen­kämpfe und Beset­zungen von Fabriken.

Artikel aus dem Berliner Tage­blatt vom 15.1.1919:

Der Kampf gegen Spartacus
Zahlreiche Spartacisten verhaftet

Die Säube­rungs­ak­tion in Moabit hat sich mit über­ra­schender Schnel­lig­keit voll­zogen. Es gab im Laufe des Tages wohl einige Schie­ße­reien, doch ist im großen ganzen im Laufe des Tages dank dem ener­gi­schen Einschreiten der Truppen der weit­aus­ge­dehnte Stadt­teil, in dem erwie­se­ner­maßen sich ein großer Teil der Spart­a­cisten aufge­halten hat, in voller Ruhe von den wilden Kommu­nisten geräumt worden. Die strengen Absper­rungs­maß­re­geln brauchten bloß bis etwa 4 Uhr nach­mit­tags aufrecht­erhalten zu werden. Bis dahin hatten die Regie­rungs­truppen aller­dings einen schweren Dienst. Es galt, den Spar­tacus-Leuten die Möglich­keit abzu­schneiden, sich zu sammeln, um mit den ihnen gleich­ge­sinnten in anderen Gegenden Berlins in Fühlung zu treten. So wurden bis 4 Uhr alle Stra­ßen­bahn­wagen, die nach und von Moabit verkehrten, ange­halten und durch­sucht. Bereits um 5 Uhr war der Stadt­teil so weit gesi­chert, daß diese strengen Absper­rungs­maß­re­geln gemil­dert werden und der Verkehr nahezu ganz frei­ge­geben werden konnte.
Das öffent­liche Leben wurde verhält­nis­mäßig wenig gestört, obwohl hin und wieder Gewehr­schüsse knallten. Nur einzelne Straßen sind verdun­kelt und außer für die Bewohner der in den Straßen gele­genen Häuser gesperrt. Auch der Tele­phon­ver­kehr ist bis spät abends noch nicht wieder eröffnet worden. Am Krimi­nal­ge­richt und vielen anderen öffent­li­chen Gebäuden stehen Wachen, Auto­mo­bile mit Regie­rungs­truppen durch­fahren die Straßen, aber der Bürger kann unge­hin­dert seines Weges gehen, und ständen nicht an allen Ecken Wach­kom­mandos im Sturm­helm und schwerer Waffen­aus­rüs­tung, so könnte man glauben, es herr­sche volle Ordnung. Die Streifen der Sicher­heits­truppen hatten große Erfolge. Viele Hunderte von Waffen sind gefunden worden, eine ganze Anzahl von Spart­a­cisten wurde gefangen genommen.
Die Säube­rungs­ar­beiten waren so schnell vor sich gegangen, daß in den ersten Nach­mit­tags­stunden die Maschi­nen­ge­wehre, die an den einzelnen Stra­ßen­ecken, so der Birken- und Strom­straße standen, abends bereits zurück­ge­zogen werden konnten. Die Fabriken in Moabit sind voll­ständig geschützt, und es herrscht auch in deren Umge­bung Ruhe. An den Toren der Deut­schen Waffen- und Muni­ti­ons­fa­briken in der Kaiserin-Augusta-Allee ist ein Anschlag ange­bracht, in dem mitge­teilt wird, daß alle Rüstungs­ar­beiten spätes­tens am 31. Januar einzu­stellen seien. Die Fabrik­lei­tung hat infol­ge­dessen allen Arbei­tern zum 25. Januar gekün­digt. Die Arbeit bleibt vorläufig ruhen.
In den Deut­schen Waffen- und Muni­ti­ons­fa­briken in der Kaiserin-Augusta-Allee, die gestern Nach­mittag ohne Kampf von den Regie­rungs­truppen besetzt wurden, hat sich Oberst v. Drahe mit seinem Stabe nieder­ge­lassen.
Einer unserer Mitar­beiter hatte gestern Gele­gen­heit, den Oberst Rein­hart, der die Opera­tionen der Regie­rungs­truppen in Moabit leitet, zu spre­chen. Oberst Rein­hart wider­sprach vor allem den wilden Gerüchten, die aus Anlaß der Beset­zung des Stadt­teils durch die regie­rungs­treuen Truppen verbreitet sind. Unter anderem wurde erzählt, daß mehrere Arbeiter der Muni­ti­ons­fa­briken in Moabit stand­recht­lich erschossen wurden. Das ist nicht wahr. Die Spar­ta­cus­leute hatten aber bei den Kämpfen am „Vorwärts“ verschie­dent­lich Dum-Dum-Geschosse verwendet. Die regie­rungs­treuen Truppen sind dadurch derartig erregt, daß sie sämt­liche Spar­ta­cus­leute, bei denen die Dum-Dum-Geschosse in den Gewehr­läufen vorfanden, kurzer­hand erschossen.

Die Volks­ma­ri­ne­di­vi­sion erhält die Waffen zurück
Die Verhand­lungen zwischen der Regie­rung und den Vertre­tern der Volks­ma­ri­ne­di­vi­sion wegen der Entwaff­nung der im Landes­aus­stel­lungs­park in Moabit liegenden Abtei­lung 3 haben gestern abend zu einer völligen Eini­gung geführt. An den Bespre­chungen bei dem Volks­be­auf­tragten Noske nahmen für die Volks­ma­ri­ne­di­vi­sion auch Molken­buhr und A. Müller teil. Die Matro­sen­führer wiesen darauf hin, daß die Volks­ma­ri­ne­di­vi­sion voll und ganz hinter der Regie­rung stehe, mit allen ihren Kräften für die Natio­nal­ver­samm­lung eintrete und jede Störung am Wahl­tage kräftig verhin­dern werde. Wenn jemals der Anschein erweckt worden ist, als ob die Volks­ma­ri­ne­di­vi­sion eine Partei­po­litik betreibe, so sei dies nur dem Verhalten des Verrä­ters Dorren­bach zuzu­schreiben. Die Divi­sion habe sich auch bei dem Spar­tacus-Putsch voll und ganz bewährt, denn sie habe jeden Spar­tacus-Angriff auf die ihr anver­trauten Gebäude abge­wehrt.
Der Volks­be­auf­tragte Noske erklärte hierauf, daß die Entwaff­nung der Abtei­lung 3 ein Mißver­ständnis gewesen sei und daß die Mann­schaften sofort ihre Waffen zurück­er­halten würden.

Stra­ßen­kämpfe beim Spar­ta­kus­auf­stand
[ Artikel drucken oder PDF ]

ANZEIGE