A‑Laden

„Anar­chie ist machbar, Herr Nachbar!“ Die in den 1980er Jahren noch unge­gen­derte Parole will sagen, dass es als Alter­na­tive zum Kapi­ta­lismus nicht nur den stali­nis­tisch geprägten Kommu­nismus gibt, wie er damals im soge­nannten „Ostblock“ herrschte – also auch am Rande Moabits, wo ja bereits die Haupt­stadt der DDR begann.

Anar­chie ist eine gewalt­freie und herr­schafts­lose Gesell­schafts­form, der Anar­chismus ihre Theorie. Alle Menschen sollen die glei­chen Rechte haben, frei und ohne Ausbeu­tung zu leben und zu arbeiten. Dies wollten auch Studen­tInnen der Freien Univer­sität. Im Früh­jahr 1988 öffneten sie mit Gleich­ge­sinnten in einem Keller­ge­schäft den „Anar­chis­ti­schen Laden“. Die Adresse Rathe­nower Straße 22 wurde in den folgenden 19 Jahren weit über Berlin und auch Deutsch­land hinaus bekannt. In den drei Räumen entwi­ckelte sich eine „Anar­chis­ti­sche Dezen­trale“, die sich an unzäh­ligen Akti­vi­täten und Struk­turen betei­ligte. Der A‑Laden wurde zum sozialen Zentrum der Gegend, zu einem liber­tären Nach­bar­schafts­laden. Hier grün­dete sich auch die noch heute bestehende BI Lehrter Straße.

Er bot basis­de­mo­kra­tisch orien­tierten Gruppen einen Treff­punkt, viele teils bundes­weit rele­vante Akti­vi­täten wurden hier entwi­ckelt und orga­ni­siert. Ob die Jugend­gruppe ASchuKis (Anar­chis­ti­sche Schul­kinder), der erste Vegan-Laden Berlins, die heute eigen­stän­dige Gewerk­schaftsini FAU, Zeit­schrif­ten­re­dak­tionen, Nach­bar­schafts­gruppe oder natür­lich explizit anar­chis­ti­sche Initia­tiven wie die Gras­wur­zel­re­vo­lu­tion – sie fanden im A‑Laden Raum, Infor­ma­tionen, Kontakte, Unter­stüt­zung.

Im hinteren Raum konnten Filme gezeigt werden, es gab eine Küche sowie eine Druckerei. Und vorn die Regale mit den vielen Flyern, Broschüren, Büchern und Zeit­schriften.

Die liber­täre Szene der Stadt, die nach dem Mauer­fall auch Ost- und West-Anar­chis­tInnen verei­nigte, hatte mit dem Keller­laden einen wich­tigen Dreh- und Angel­punkt. Menschen und Gruppen aus ganz Europa und darüber hinaus, ab 1990 auch aus dem ehema­ligen „Ostblock“, bekamen hier Kontakt zu Aktiven, die eben­falls eine frei­heit­liche Gesell­schaft wollten. Natür­lich gab es auch Gegen­wind. Den Auto­nomen war der A‑Laden zu liberal und zu zahm, den Kommu­nisten zu klein­bür­ger­lich, Neonazis bedrohten und besprühten ihn, dem Vermieter (CDU-Mitglied) war er ein Dorn im Auge. Er war es letzt­end­lich auch, der 2007 die Miete so weit erhöhte, dass der A‑Laden aus der Rathe­nower Straße ausziehen musste. Bis heute exis­tiert er aber in der Brun­nen­straße 6/7 in Mitte weiter.

Fotos: Ralf Land­messer

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