Barrikaden im Rostocker Kiez

Die Zusam­men­stöße zwischen Sozi­al­de­mo­kraten und Kommu­nisten auf der einen Seite und den Nazis auf der anderen wurden auch in der Rosto­cker Straße immer zahl­rei­cher und heftiger. Wer gegen die Faschisten war, wurde zusam­men­ge­schlagen, nieder­ge­sto­chen oder zu Tode geprü­gelt. Aber auch die KPD-Anhänger gingen sehr gewalt­tätig gegen Nazis vor.
Am 20. Juni 1932 sollte wieder mal eine schwan­gere Frau mit einem Kind aus ihrer Wohnung in der Gotz­kow­sky­straße geworfen werden, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten konnte. Sechs Millionen Arbeits­lose gab es damals in Deutsch­land, die Unter­stüt­zung reichte nicht einmal für das Essen. Woher die Miete nehmen?
Diese Räumung war kein Einzel­fall, so etwas kam prak­tisch jeden Tag vor. Diesmal aber rief die Leitung der KPD Moabit die Arbeiter der umlie­genden Häuser auf, die Räumung zu verhin­dern. So zogen deren Genossen von Hof zu Hof, von Wohnung zu Wohnung, um durch Sprech­chöre und persön­liche Rück­spra­chen die Bevöl­ke­rung dazu aufzu­for­dern, die gefähr­dete Frau zu schützen. Und es kamen etliche. Als die Polizei aufgrund der Masse von Unter­stüt­zern ihren Einsatz abbre­chen wollte, stürmen plötz­lich SA-Männer auf die Menge los. Sie kamen aus ihrem Lokal „Hoch­meister“ in der Hutten­straße 3. Auch die Polizei versuchte nun, gemeinsam mit den SA-Leuten die Protes­tierer wegzu­prü­geln, aber vergeb­lich. Statt­dessen musste sie zusammen mit den Nazis in deren Lokal flüchten, das nun wiederum von den Anti­fa­schisten bela­gert wurde. Erst ihre Verstär­kung konnte die Poli­zisten wieder befreien.
In den kommenden beiden Tagen gab es vor dem Lokal anti­fa­schis­ti­sche Kund­ge­bungen. Die Leute zogen sich vor den Poli­zei­knüp­peln zurück in die Rosto­cker Straße und bauten dort Barri­kaden aus Müll­tonnen, Bauma­te­rial und Gerüsten. Das Pflaster wurde aufge­rissen, um ein Eindringen mit Fahr­zeugen zu verhin­dern.
Als die Polizei in der Nacht des 22. Juni mit großer Verstär­kung anrückte, kamen Hunderte Nach­barn auf die Straße. Die Gasla­ternen wurden ausge­schaltet, ebenso die Lampen in den Wohnungen. Der kurze Angriff auf die dunkle Rosto­cker Straße wurde schnell beendet, bald aber kam die Polizei mit einem Panzer­wagen. Doch auch dieser konnte nicht durch­bre­chen.
Am nächsten Tag erschien die Polizei mit dem Befehl, notfalls auch zu schießen. Mit Hilfe von Gewehren gelang es ihr, die Straße zu stürmen. Als sich SA-Männer unter sie mischten, wurden sie erneut zurück­ge­schlagen. Diesmal hatte die Polizei auf die Eckhäuser Rosto­cker / Hutten­straße Schein­werfer aufge­baut, um die Straße auszu­leuchten. Einige Stunden später verhängte sie den Bela­ge­rungs­zu­stand über die Rosto­cker Straße, Ansamm­lungen wurden verboten.
Das martia­li­sche Auftreten der Polizei und deren offene Zusam­men­ar­beit mit der SA provo­zierte die Arbei­te­rInnen der nahen Indus­trie­be­triebe von Osram, AEG Turbine, Loewe usw. Am 28. Juni gab es in der Hutten‑, Ufnau- sowie der Sickin­gen­straße Mieter­ver­samm­lungen, auf denen die Schlie­ßung des SA-Lokals und die Zurück­zie­hung der mili­tä­risch bewaff­neten Polizei aus den Moabiter Straßen gefor­dert wurde. Zwei Tage später fand eine große Demons­tra­tion der Arbeiter und Nach­barn statt, durch die Hutten­straße zum „Hoch­meister“, dann weiter durch die Turm­straße zum Kleinen Tier­garten. Die beglei­tende Polizei wagte es nicht, dagegen vorzu­gehen.
Trotz dieser Macht­de­mons­tra­tion unter­lagen die Anti­fa­schis­tInnen im folgenden Jahr. Im Januar 1933 wurde die Macht an Hitler über­geben und die NSDAP und beson­ders die SA rächte sich grausam an den linken und anti­fa­schis­ti­schen Arbei­te­rInnen im Kiez.

Foto: Bundes­ar­chiv Bild 102–07707 CC-BY-SA 3.0

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