Im Südwesten von Moabit, dem Westfälischen Viertel sowie im Hansaviertel, gab es bis zur Nazizeit ein ausgeprägtes jüdisches Leben.
Rundherum lebten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tausende Jüdinnen und Juden. Drei Synagogen waren fußläufig erreichbar: Einerseits die der orthodoxen Gemeinde Adass Jisroel in der Straße Siegmunds Hof sowie die des Synagogenvereins Moabit und Hansabezirk in der Flensburger Straße. Und schließlich die große Synagoge in der Levetzowstraße. Sie galt als liberal, da die meisten Juden in der Gegend dieser Glaubensrichtung angehörten.
Mit einem Bevölkerungsanteil von rund 8 % waren die Juden hier fast doppelt so stark vertreten, wie im Durchschnitt Berlins. Es waren Arbeiterinnen und Arbeiter sowie gutbürgerliche Familien. Viele von ihnen hatten ein Gewerbe wie koschere Lebensmittelläden, Bekleidungsgeschäfte und Werkstätten. Allein 27 davon in der Turmstraße, 18 in der Straße Alt-Moabit. Der Name Adrema war in Moabit sogar noch bis 2022 ein Begriff, allerdings als Hotel. Damals befand sich dort eine Fabrik für Adressiermaschinen, daher der Name. Eine andere Firma mit jüdischen Eigentümern war der Industriebetrieb Ludwig Loewe & Co., der Maschinen und Waffen herstellte.
Die Synagoge Levetzowstraße wurde 1914 eingeweiht, war jedoch erst 1919 richtig fertig. Ein Teil des Komplexes wurde erst 1919 fertiggestellt, was vermutlich dem Ersten Weltkrieg geschuldet war. Mit 2.100 Plätzen gehörte sie zu den größten in Berlin.
Der Haupteingang an der Levetzowstraße war von vier massiven Säulen flankiert. Seine Türen wurden jedoch nur zu besonderen Festen geöffnet. Im Alltag nutzen die Gläubigen den Eingang in der Jagowstraße. Von hier aus kam man auch auf die beiden Höfe der Synagoge.
Geplant war die Synagoge bereits ein Vierteljahrhundert zuvor. In der „Allgemeinen Zeitung des Judenthums“ vom 25. April 1890 hieß es in der Berliner Ausgabe:
„Bei dem außerordentlichen Zuwachs der Bevölkerung Moabits in den letzten Jahren tritt das Bedürfniß nach einer Bethätigung des religiösen Lebens unter den Israeliten dieses Theiles der Weltstadt immer lebhafter zu Tage. Gottesdienst und Religionsunterricht sind die Wünsche, die von Tag zu Tag sich lauter erheben. Was bisher in diesem Stadttheil nach dieser Richtung hin vorhanden war, ist allerdings kaum nennenswerth. Im Wesentlichen beschränkte es sich auf den Gelegenheitsgottesdienst an den hohen Festtagen, für welchen die Moabiter Lokale einen wenig würdigen Platz herliefern mussten. Die dankenswerthen Neuerungen des Gemeindevorstandes im jüngsten Jahre kamen lediglich anderen Stadtvierteln zu Gute; offenbar hat die Schwierigkeit der Auffindung einer geeigneten Miethsräumlichkeit für Moabit sich nicht überwinden lassen. Zur Berathung über Maßnahmen zur Milderung dieses religiösen Nothstandes waren am gestrigen Abend im Ilges’schen Lokale eine Anzahl jüdischer Gemeindemitglieder des äußersten Nordwestens versammelt. Allgemein trat die Ansicht zu Tage, daß bei der Entfernung der Berliner Synagogen und Religionsschulen und bei einer Anzahl von über 300 jüdischen Familien die Nothwendigkeit des Erwerbs – gleichviel ob durch Kauf oder Miethe – einer eigenen Räumlichkeit für die religiösen Zwecke des Stadtviertels dringend geboten sei; die Debatte drehte sich hauptsächlich um die Frage der Initiative und das Verhältniß zu den Gemeindebehörden. Die streitigen Meinungen klärten sich schließlich dahin, es sei aller Grund zu der Annahme vorhanden, daß Vorstand und Repräsentanten dem Projekt einer Moabiter Synagoge und Religionsschule sich sympathisch gegenüber stellen würden, trotzdem sei es nothwendig, durch provisorische Schritte den Beweis für das Bedürfnis zu erbringen.
Schließlich wurde ein Komitee aus den Herren Pollak, Kosterlitz, Direktor Lövinson, Dresel, Elsoeser, Baruch und Eppenstein bestehend, gewählt, welches den Auftrag erhielt, in einer nächsten Versammlung betreffs Erwerbs einer geeigneten Räumlichkeit Vorschläge zu machen.“
Mit der Machtübergabe an die Nazis war das öffentliche jüdische Leben fast schlagartig vorbei. Die sofort einsetzende Entrechtung der Jüdinnen und Juden im Alltag, die zerstörten Schaufensterscheiben in der Pogromnacht, die Deportationen, das alles ist bekannt. Einem Teil der Bevölkerung wurde das Recht auf Unversehrtheit geraubt und später sogar das Recht auf Leben. Heute gibt es wieder Jüdinnen und Juden im Stadtteil, zum Großteil sind sie jedoch säkular. Die meisten von ihnen sind nicht hier geboren, sondern eingewandert. In den letzten Jahren waren dies vor allem junge Juden aus Israel, vorher auch aus Russland. Bis heute haben sich in Moabit keine jüdischen Strukturen mehr entwickelt und auch eine Synagoge gibt es nicht. Wenn im Stadtteil von Juden die Rede ist, dann geht es meist um das Gedenken an den Holocaust.