Verkehrsfrust

Wohnt man an der Umlei­tungs­strecke vom großen Stern, benö­tigt man keinen Veran­stal­tungs­ka­lender. Bereits Tage vor den jewei­ligen Terminen verwan­deln sich die betref­fenden Straßen. Aus einer ruhigen Wohn­ge­gend wird eine Haupt­straße. Bei uns im Haus sind dann die Zeiten der Balkon­nut­zung vorbei. Wie an einer Haupt­schlag­ader knat­tert und rauscht den ganzen Tag der Verkehr durch die engen Straßen. Da diese Neben­straßen so eng sind, vergrö­ßert sich der Lärm­pegel expo­ten­tial. Nur in der Lüne­burger Straße nicht. Dort stehen gerne einmal hundert Autos von Ecke zu Ecke im Stau und benö­tigen 15 Minuten für 700 Meter Strecke. Das nervt nicht nur die Auto­fahrer. Die sind ja irgend­wann durch. Die Anwohner dieser Straße können nicht nur ein offenes Fenster oder ihren Balkon vergessen, sondern müssen sich auch selbst durch diese beiden Schlangen kämpfen. Radfahrer weichen selbst­ver­ständ­lich auf den Gehweg aus, den es aller­dings nur auf der nörd­li­chen Seite gibt, denn gegen­über verläuft die Trasse der Stadt­bahn.

Bisher wurde ich nicht von der Fahr­rad­po­lizei erwischt. Die resi­diert genau am Ende dieses Dauer­staus in gelben Contai­nern. Garan­tiert müsste ich als radfah­render Mitbürger 55 Euro Strafe zahlen, wetten? Das Paradox der Verkehrs­wende in der Realität ist, dass meiner Ansicht nach im Volk diese Wende über­haupt nicht gewünscht wird. Niemand ist bereit auf sein Auto zu verzichten, trotz dieser vielen Staus, den immensen Kosten und der inef­fek­tiven Ressour­cen­ver­schwen­dung. Da können die Sena­to­rInnen noch so enga­giert planen. Sie kämpfen gegen Wind­mühlen und gegen den Wunsch der Mehr­heit. Die Behörden handeln entspre­chend. Und so bleibt eben doch alles wie es ist. Zwar wird nun die Stra­ßen­bahn zur Turm­straße verlän­gert, was auch ein Grund für die hohe Verkehrs­be­las­tung dort ist, aber die Bereit­schaft zu einer grund­sätz­li­chen Verän­de­rung wird diese neue Linie wohl eher nicht bewirken. So hat der Krieg in der Ukraine mögli­cher­weise auch eine gute Seite. Erst wenn der Sprit­preis wirk­lich unbe­zahlbar wird, könnte ein Umdenken beginnen. Tragisch.

Text und Foto: Michael Helle­brand

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