Armut in Moabit – Zilles Milljöh light

Der berühmte Spruch von Hein­rich Zille „Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt“ bezog sich auf die kata­stro­phale Wohn­si­tua­tion Ende der 1920er Jahre in Berlin. Schon damals war auch Moabit ein Zentrum des Elends. Miets­ka­sernen, in denen mehrere Personen in einem Zimmer lebten, waren die Regel. Wer seine Arbeit verlor, zum Beispiel in einer der nahen Indus­trie­be­triebe, konnte von einem Tag auf den anderen die Miete nicht mehr zahlen und wurde raus­ge­schmissen.

Und wer erstmal auf der Straße saß, hatte kaum eine Aussicht auf eine neue Wohnung. Diese „Exmit­tie­rungen“ waren keine Selten­heit, sie kamen in Moabit wohl täglich vor. Nicht selten zogen sie den Suizid der Betrof­fenen nach sich, manchmal sogar ganzer Fami­lien. Der Stumm­film „Mutter Krau­sens Fahrt ins Glück“ von 1929 zeigte das Elend der dama­ligen Arbei­te­rInnen, die auch mit Job oft nicht über die Runden kamen. Als die Nazis an die Macht kamen, verboten sie den Film und vernich­teten alle greif­baren Kopien. Denn auch sie konnten die Armut so vieler Menschen nicht einfach beenden.

Moabit blieb auch nach der NS-Herr­schaft ein Stadt­teil, in dem die „einfa­chen“, oft die armen Menschen wohnten. Viele Eigen­tümer ließen zudem ihre Häuser verfallen, um eine Geneh­mi­gung für den Abriss und einen Neubau zu bekommen. Durch die zeit­weise Planung einer Auto­bahn durch Moabit wollten sie nichts mehr in ihre Häuser inves­tieren. Nur die Ärmeren waren dann noch bereit, dort einzu­ziehen.

Aus einem Artikel des Stadt­ma­ga­zins Zitty vom Mai 1988:

„Emdener Straße: Herun­ter­ge­wirt­schaf­tete Häuser werden mit Vorliebe an paläs­ti­nen­si­sche und liba­ne­si­sche Flücht­linge vermietet. Stickige, muffige Trep­pen­häuser zeugen von der Über­be­le­gung der Wohnungen. 55 Quadrat­meter Wohn­raum für neun Personen bieten keinen Raum für soziale und gesund­heit­liche Entfal­tung.
Perle­berger Straße: ln Haus­nummer 16 wohnt Frau B. seit 1982 mit ihrem zucker­kranken Sohn. Seit Sommer sind zwei Zimmer der Wohnung baupo­li­zei­lich gesperrt, da die Fußbo­den­dielen durch­bre­chen, die über­al­terte Elek­trik defekt ist. Die Fens­ter­scheiben drohen aus den Rahmen zu fallen.“

Auch wenn seit Jahren immer mehr Gutver­die­nende herziehen: Die Armut hat Moabit nie ganz verlassen. Zwar exis­tieren heute mehr Hilfs­an­ge­bote, aber noch immer gibt es hier Fami­lien und Rent­ne­rInnen, die sich ab Mitte des Monats kein warmes Essen mehr leisten können, denen Gas und Strom abge­stellt wird, weil die Rech­nungen zu hoch sind.

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