Paris-Moskau

Es ist schon ein merk­wür­diges Bild, das dieses Restau­rant am östli­chen Ende der Straße Alt-Moabit bietet: Ein kleines Gebäude im Fach­werk­stil, sogar ein Balkon wie in den Alpen. Im Inneren eine Stahl­kon­struk­tion samt guss­ei­serner Säule im unteren Schank­raum, dazu ein Grün­der­zeit-Buffet.
Direkt dahinter der bombas­ti­sche Neubau­kom­plex des Innen­mi­nis­te­riums, gegen­über der riesige Haupt­bahnhof. Völlig deplat­ziert steht es hier und hat doch manche Zeiten über­lebt.

Gebaut wurde das Haus 1898. Schon damals beher­bergte es eine Gast­stätte mit dem wenig einfalls­rei­chen Namen “Kindl-Stube”. Anders als viele glauben gehörte es nie zu einer Bahn­an­lage oder dem einst nebenan bestehenden Ausstel­lungs­park ULAP.
Zwanzig Jahre später, am Ende des 1. Welt­kriegs, über­nahm eine Familie Tees das Lokal. Am Ende des 2. Welt­kriegs ging das Gebäude, das fast als einziges der Umge­bung den erbit­terten Kampf um den Reichstag unbe­schä­digt über­standen hatte, an “Mutter Busch”. Nun hieß es 30 Jahre Schult­heiss-Klause”. Unten wurden Bier und Bouletten ange­boten, oben gab es drei Zimmer als Fern­fah­rer­bor­dell.

Mitte der 1970er Jahre kam mit dem “Josef” erst­mals ein Restau­rant in das Haus. Zu dieser Zeit lag es recht abseits, nahe der Grenze zu Ost-Berlin. Nur die Autos, die zwischen Tiergarten/​Wedding und Kreuzberg/​Schöneberg fuhren, kamen vorbei. Und manchmal ein Tourist, der zuvor den Reichstag besucht hatte.

1987 über­nahm der jetzige Inhaber das Restau­rant und nannte es Paris-Moskau, nach der Eisen­bahn­strecke, die gleich daneben auf dem Stadt­bahn­via­dukt fuhr. Bis heute trägt es diesen Namen.
Das Restau­rant bot schon damals etwas geho­bene Küche an, doch mit dem Mauer­fall und der immer schneller werdenden Taktung der Stadt stiegen auch Qualität und Preise im Paris-Moskau.
Mit der Fertig­stel­lung des Bundes­in­nen­mi­nis­te­riums im Rücken des Hauses zog eine neue Klientel ein. Neben den Abtei­lungs­lei­tern trifft man im Paris-Moskau oft auch Promi­nente, bis hin zur Kanz­lerin. Von ihrem Arbeits­platz aus hat sie es ja auch nicht weit.

Im Gegen­satz zu den vielen umlie­genden Neubau­blö­cken beweist das Paris-Moskau, dass diese Gegend auch eine Geschichte hat.

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