Der Weltbaum in der Lehrter Straße

In der Lehrter Straße wurde gestern ein großes Wand­bild eröffnet. Aber ein beson­deres: Das Wand­bild „Welt­baum“ von Ben Wagin hängt seit 1975 neben dem S‑Bahnhof Tier­garten und wird derzeit von einem Neubau zuge­baut. Als Ersatz gibt es nun den zweiten Welt­baum, gleich gegen­über der Krupp­straße.

Mitte der 1970er Jahre: Noch nicht lange ist die Umwelt­ver­schmut­zung in der deut­schen Gesell­schaft ein Thema. Politik und Medien greifen es nur zöger­lich auf. Mitten in diese Zeit malt der Künstler Ben Wagin zusammen mit Freunden im Zentrum des alten West-Berlins ein Wand­bild, auf dem die von Menschen gemachte Zerstö­rung der Umwelt thema­ti­siert wird. Es ist das erste große Wand­bild im Nach­kriegs-Berlin, das nicht kommer­zi­eller Werbung dient. Und es ist sehr aussa­ge­kräftig. Im Zentrum steht ein Baum, der vor Schmerzen schreit und das Wald­sterben symbo­li­siert. Daneben ein Auspuff­topf, als Beispiel für die Ursache der Umwelt­ver­schmut­zung. Über allem werden auf einem Fracht­schiff neue Bäume impor­tiert, weil die alten dem sauren Regen zum Opfer gefallen sind.

Direkt am S‑Bhf. Tier­garten konnte man das Bild 43 Jahre lang sehen, auch wenn es in der Zeit immer mehr verwit­tert ist. Nun aber schien sein Ende gekommen zu sein, denn direkt davor wird nun ein Neubau gesetzt. Bald ist dann nichts mehr übrig.

Aber das Bild wurde trotzdem gerettet. Als Auftakt des Mural-Festi­vals, in dem in den kommenden Wochen Dutzende neuer Wand­bilder in Berlin entstehen, wurde der Welt­baum verpflanzt. Eine Künst­ler­gruppe, die mit Ben Wagin freund­schaft­lich verbunden ist, hat es origi­nal­ge­treu an eine neue Haus­wand gemalt. Seit heute strahlt der Welt­baum 2.0 an der Lehrter Straße 27–30 in Moabit in frischen Farben. Bei der offi­zi­ellen Umtop­fung griff Ben Wagin sogar selber zur Schaufel. Der Kultur­se­nator Klaus Lederer hielt eine liebe­volle Rede auf den ursprüng­li­chen Künstler. Ben Wagin sagte, dass man damals extra Leute zur Einwei­hung des Bildes in die Bach­straße mobi­li­sieren musste. Heute thront es über einem gut besuchten Spiel­platz und ist nicht allein.

Nur einen kleinen Wermuts­tropfen gibt es noch: Bisher wohnte Ben Wagin nur 100 Meter von seinem Werk entfernt, nun muss er ein paar Kilo­meter fahren, um es sehen zu können. Dafür aber strahlt es heute wieder in alter Kraft. Und darauf kommt es ja an. Und es ist wohl das einzige Wand­bild in Berlin, das jemals umge­zogen ist.

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